Sünderin UND gerechtfertigt.

 

Predigt am Reformationstag in der Pauluskirche, Hannover.

Predigttext als Lesung, Römer 3 21-28.

 

  Liebe Gemeinde,

 Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, UND (sie) werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

 

Allesamt Sünder.

UND gerecht aus Gnade.

 

I) 

Da steht ein UND[1]

Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott.

Das Wort war ein UND.

 

Jesus ist ein UND. Das alles verbindende UND.

Ein Wort UND ein Licht.

Gott UND Mensch.

Gestorben für unsere Sünde UND Auferstanden von den Toten.

 

Jesus muss ein UND sein.

Der Gekreuzigte, das UND, es streckt seine Arme aus und verbindet.

 

II)

UND auch ich bin mehr als eins.

Ich lebe durch das UND.

Bin vieles gleichzeitig.

Mehr als ich denke. Mehr als ich mir zutraue.

Aufgehoben in diesem Spannungsbogen, verbunden im UND:

 

Mutter und Tochter,

Freundin und Chefin,

erschöpft und glücklich,

Geliebte und Partnerin,

getauft und voller Zweifel,

Sünderin und Gerechtfertigte.

 

Nicht Sünderin ABER gerechtfertigt, nein Paulus schreibt UND:

Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, UND sie werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

Erlöst, durch Jesus Christus, das UND.

 

Sünderin UND gerecht aus Gnade.

 

Ein „Aber“ schränkt ein, nimmt zurück.

Ein „Und“ weitet, fügt eine Facette hinzu.

  

Testen Sie es mal einen Tag: Versuchen Sie UND zu sagen, wenn Sie zu einem Aber ansetzen. Mich bringt das immer zum Lächeln. Zu merken, ja: Ich kann auch UND sagen.

 

Sünderin und gerecht vor Gott.

 

III)

Sünderin. Ja, da fallen mir Dinge ein. Weltliche Dinge und göttlich. Mein haben-wollen und können-müssen. Das nicht hinhören, das wegschauen und weitergehen.

Angst vor der Hölle habe ich nicht – eher Angst, mich ganz einzulassen: Auf Menschen, auf Gott. So verletzbar zu sein, dass mich alles angeht. Sünderin. Ich stelle die Liebe in Frage. Bist du da? Ist das dein Ernst, mit dem angenommen sein? Brauchst du mich? Wirklich? Und da ist sie, die Beziehungsstörung oder „der schuldhafte Widerstand gegen Gott“ – wie Sünde definiert wird.

Glaube ist ein Werk Gottes. Er spielt uns Menschen eine Verlässlichkeit zu, die wir nicht in uns selbst finden. Er ist größer als wir und einen Schritt voraus. Hoffend, halt. Und weil Glaube in die Zukunft zielt, ist er im jetzt wackelig. So schwer zu erklären, nicht lehrbar. Glauben erschaffen wir nicht, wir lassen ihn zu, bleiben in Kontakt, kommunizieren.[2]

 

Gottes Liebe zulassen, mich einlassen, Beziehung leben.

 

Als Beziehung gedeutet, verstehe ich, warum die Folge der Sünde der Tod ist. Ein inneres Absterben, weil bei fehlendem Vertrauen die Verbindung geschwächt wird, die Kommunikation misslingt.

Das Gespräch stockt, wie bei einem Ehepaar, dass sich nur noch wenig zu sagen hat. Er denkt vielleicht: Sie interessiert sich nicht für mich. Sie denkt: Er hört mir eh nicht zu.

 

 

IV)

Und dann steht da ein UND.

Jesus, das UND.

Jesus selbst erlebt, wie sich irdische Beziehungen anfühlen, er liebt, wird verraten. Er stirbt wie wir, ja, für uns.

Jesus, das UND, richtet’s. Und zwar nicht im Sinne des bisher gedachten göttlichen Gerichts, nein, er richtet uns aus, biegt es wieder gerade, schafft Raum zum Luftholen, definiert Nachfolge neu und lebt Gemeinschaft vor.

Für Luther war diese Erkenntnis, dass Gottes Gerechtigkeit anders ist als erwartet, die entscheidende Entdeckung. Unser Paulustext, war ihm ein Kraftwort, zum daran festhalten. Ja, in seiner Bibelübersetzung hat er sogar geschrieben, dass diese Stelle aus dem Paulusbrief an die Römer sein Lieblingswort sei.

Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, UND werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

 

Beim rumdenken und rumbeten auf diesem Satz hat er, Luther, verstanden, was es auf sich hat mit der Rechtfertigung. Und warum ihn die Sünde und die Angst vor dem Göttlichen Gericht nicht mehr schlaflos machen müssen. Luther hat verstanden und geglaubt, dass er UND schreiben kann.

 

Auf die Werke verzichten UND auf die Gnade vertrauen. Sola gratia.

Diese Erkenntnis steckt im UND, im Nebeneinander, im Mehr-als-wir-verstehen. Und aus diesem Glauben heraus schreibt Luther: Simul iustus et peccator, zugleich gerecht und Sünder. Das macht ihn mutig und wach: Gerecht UND Sünder. Zugleich. Durch Jesus, durch die Gnade und den Glauben.

  

V)

Gerechtfertigt. Ich bin Gott recht. Werde ihm gerecht, in dem was ich tue. Immer schon. Und: ich bin noch im Wachsen, im Werden, nicht fertig. 

Ich darf das – gerechtfertigt und recht-un-fertig sein.

Recht-un-fertig.

Ja, sogar genauso unfertig, hoffend und unverzagt gedacht – schließlich kommt die Vollendung später. Ich bin ein nicht fertiges UND. Schon jetzt mehr als sichtbar und begreifbar ist. Vielfältig, geheimnisvoll. Wie bei Teppichen, deren Fäden so eng aneinander gewebt sind, dass sich der eine nicht mehr vom anderen unterscheiden lässt. Das Fertige und Unfertige, nebeneinander, miteinander verwoben.

Ein UND. Unvertretbar. Unmittelbar gemeint.

 

VI)

Das tut mir gut, ja, das will ich! Alles auf einmal – das Schöne und Harte, das Sehnen und die Wolke voller Zeugen. Da hab ich Musik im Ohr, da sprüht das Leben und die Liebe gewinnt. Witz und Leichtigkeit, Schwesterlichkeit.

Und zwar direkt in dieser kaputten, seufzenden Welt, zwischen Kriegen und Wahlen, Zeitungen und twitter. In einer Welt in der alles zugleich, durcheinander und nebeneinander passiert. Willkommen, in meiner Realität.

Einer Welt, in der ich das UND brauche, um das Sterben da draußen zu ertragen und die Balance zu halten. Nur auszuhalten, wenn ich ans Atmen denke, an das Trotzdem glaube und Platz lasse für das UND. Für das UND, das größer ist als ich selbst. Richtet und geradebiegt, was ich nicht verstehe, manchmal kaum ertragen kann.

Ich spüre, dass diese Gleichzeitigkeit an mir zerrt UND mir Freiheit gibt. Und es tut mir so gut, wenn ich das Herz in die Hand nehme und die Hand aufs Herz lege und bekenne, wie es ist, dieses Leben:

Dass es krass schön ist.

Und viel.

Dass es manchmal nur Schritt für Schritt geht. UND ich dann vor lauter Funktionieren nicht hochgucken mag, einen Fuß vor den anderen setze und keine Horizonte sehe.

Dass die Vereinbarkeit müde und die Nachrichten Angst machen, so sehr, dass ich vergesse zu spielen, zu beten und alles zu sein.

 

VII)

Und dafür haben wir das UND.

Das Wort, das von außen kommt. Das wir uns nicht selbst sagen können.

 

Gott reduziert uns nicht auf das, was wir tue, schaffen. Vielleicht ist es ihm sogar egal. Wir können ankommen und sind genau richtig. Gerecht aus Gnade.

 

Machen Sie mal bitte die Augen zu und setzen sich möglichst gerade hin.

Und jetzt, atmen Sie tief ein, bis in den Bauch. Und langsam wieder aus.

 

So ist Gnade: Ein tiefes Durchatmen. Ein Bauch-Wissen, ich werde geliebt, bin angesehen. Immer schon. Alles und Nichts. Nicht verdient, nicht erarbeitet. Mensch – gerecht und unfertig, no matter what.

Gnade. Das Gegenüber meines Streben und Funktionieren: ein Durchatmen. Von dieser Welt, ja in die Welt gestellt, hier gebraucht – UND gewollt. Genauso wie ich bin.

 

Wahrlich, eine Beta-Version. Sünderin und Gerechtfertigt.

Recht-un-fertig. Aber, nein: UND auf dem Weg.

 

Denn: Sein Wort gilt.

Als Wort zum Festhalten, Nachbeten und Mitnehmen.

Zum drauf Herumkauen, Diskutieren und Neuübersetzen. 

Das Wort, mein UND, das tröstet und befreit.

Amen

 

Wiederum Danke an die mit denen ich in der Woche vor dem Gottesdienst Wörter geteilt hab und die mich ermutigt haben, das "Reden über" und den Reformationsjubiläumsteil zu streiche. Anke, Karoline, Birgit, Kirstin. You are the very best.


[1] Nach einer Idee von Friederike Lambrich.

[2] Vgl. Predigt am 30.10.2016 von Friederike Erichsen-Wendt, „Ich glaube“. www.zwischengerufen.wordpress.com

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0