Du ropst mi - Plattdeutscher Slam auf dem Kirchentag

Ich spreche Verdener Platt - und schreibe so, wie ich spreche. Der Text wurde im Zentrum "Plattdütsch in de Kark" auf dem DEKT in Dortmund gehalten - vorgegeben war der Text vom sinkenden Petrus (Mt. 14, 22-33).

 

 

De Himmel is düster und dat Water fast schwatt,

 

Keen Steern is to seen und min Hännen sünd natt.

 

Min Boot geit gliks ünner und hölpen deit nüx,

 

De annern Jüngers sind blass-greun  

 

und ich glöv ik bin ock eene Bangebüx.

 

 

 

Ja, de Wellen sind grot,

 

sei schwappt all ins Boot,

 

sünd düster und mächtig, grötter as ik

 

sei sust und brust, as freit sei sick.

 

Ik kriegt mit de Angst - Roop di, bin di Nomen.

 

Heb beert und ropen, du shast endlich komen.

 

 

 

Nu sei ik di, wi du öbert Water geist,

 

ik sei di, wi du neben dat Boot rümsteist.

 

Du fängst an to snacken und ik hört di  ok tau,

 

bün noch nich ganz sicher, wat du dor mockst -  or wo tau.

 

„Villicht is dat Jesus“, hör ik jemand sergen.

 

„villicht en Patronus“ –

 

sei wüd sich nicht festlergen.

 

Een Geist shasst du wern,

 

 anners künnt sei sick düt Licht nicht erklärn.

 

Du lüchst all von widen –

 

hilich bist du, dör alle Tiden.

 

Witt is din Kleed und dönanner din Hoor –  

 

Min Buk deit mi wej… de Angst, is jo klor.

 

Dat is so, wenn wi wat noch nicht verstoht –

 

 Zwifel und Sorgen, und 100. Gruselgeschichten hebt wi parot.

 

 

 

Ik sei di, wie du öber dat Water löpst,

 

und hör wie du min Nomen röpst.

 

Petrus ropst du, min bester Gesell

 

rek mi din Hännen und kumm mol schnell.

 

Und ik weet nich so recht, mi felt de Maut.

 

Ik bün woll din Fründ, aber nu is mol gaut.

 

Ik well ja verseuken to daun, wat du wull –

 

Ober jümmer neie Wunners – mi wat dat to dull!

 

Und ik frog mi ganz ehrlich: Wi schall dat ok goahn

 

 – ein Minsch as du und ik kann doch nicht up Waters stan?

 

 

 

Gern will ik woll de Beste blieben,

 

di jümmer gefallen, du shasst mi jo lieben.

 

Will utprobeern, ob dat Water mi drücht.

 

„Fake it until you make it“, is hüt dran - what me so dücht.

 

 

 

Und doch heb ich Twiefel,

 

ik bin man nich du.

 

 

 

Ik glöv: Dat Water, dat drücht di, weil du sicher büst –

 

Du weist as Gottes Söhn, di het he utrüst.

 

Dei Wellen sind hoch und bannig gefählich,

 

Windstärke 10 – und sünd wi mal ehrlich...

 

Wer kümmt hier vont Meer und kennt sik gaut ut?

 

Ji weit jo ant besten –

 

bei düt Weer, feut keen klaugen Minschen rut.

 

Ober du wost alleen ween  und hest us mol losschickt

 

Und nun störmt dat so doll, dat us fast dat Boot brickt.

 

 

 

Doch ik will mi bewiesen, dat ich mi dat trau

 

In Störm rumtoloppen, as hör dat dortau.

 

 

 

Ich stiech langsam ut und goa ok all los.

 

Kiek di jümmer an – din Word mokt mi groß.

 

Wenn du glövst, datt ik dat kann,

 

dann kom ich villeicht ok dröch bi di an.

 

 

 

 

 

Und erst keum dat ok so,

 

und dann wör dat doch anners.

 

Min Glöben is grot doch min Zwifel wor grötter,

 

de Maut woll nich blieven und ik könn dat nich better.

 

 

 

Du hest mi ruttogen

 

und hölst mi för schwach,

 

ober ik kann di segen –

 

kolt Water mokt wach.

 

 

 

Nun bin ik mi sicher, de Geist, dat bis du –

 

De Storm hört up di, wat still glicks in Nu.

 

Und düt weet ik sicher: Water is natt...

 

Min Jesus de hölp us, in Störm un bi’d Platt.

 

 

 

 

 

Loslassen. Gedanken zum Exodus Gottesdienst am 17.3.2019

 

Es gibt Tage, da bin ich nur mit loslassen beschäftigt.

 

Langsam die zur Faust geballten Hände lockern.

 

Loslassen.

 

Die aufeinandergepressten Lippen lösen, so dass auch der Kiefer wieder entspannen kann.

 

Loslassen.

 

Ein wenig gerade werden, gen Himmel.

 

Erdung spüren.

 

Schultern fallen lassen.

 

Hände öffnen.

 

Mein Gesicht den ersten Sonnenstrahlen und dem Wind entgegenhalten.

 

Tränen laufenlassen, statt sie mit aller Macht wegzudrücken.

 

Die Traurigkeit zulassen.

 

Die Ohnmacht spüren.

 

Mich so sein lassen.

 

Sein dürfen.

 

 

 

Es gibt Tage, da bin ich nur mit loslassen beschäftigt.

 

Mit meinem Los und meinem Lassen.

 

Mit denen, die gingen und denen die blieben.

 

Mit Gott, Menschen und Kindern.

 

Menschenkindern.

 

Gotteskindern.

 

Mit Lücken und Gräbern,

 

genauer: fehlenden Gräbern.

 

Beschäftigt mit Gedenken, Andenken, Umdenken.

 

 

 

Es gibt Tage, da bin ich nur mit loslassen beschäftigt.

 

Träume, zu große und zu kleine.

 

Kaum greifbar

 

Unsagbar.

 

Zukunftsentwürfe. Ideen, vom Glücklichsein.

 

 

 

Es gibt Tage, da bin ich nur mit loslassen beschäftigt.

 

Abschied nehmen.

 

Zulassen, dass es zu Ende ist.

 

Loslassen und die Antwort schon längst wissen.

 

Und wissen, dass sie bestimmt, ganz sicher, wie sollte es auch anders sein: geborgen sind.

 

Nachtrauern.

 

Ja, heute nochmal nach trauern, weil ich es vor lauter funktionieren vergessen hatte.

 

Nachtrauern und nachspüren.

 

Schön wäre es gewesen.

 

Schön warst du; ihr alle.

 

Nochmal trauern und spüren:

 

Das Gefühl passt.

 

Die Gnade reicht.

 

Bis unter die Erde, bis in Klinikmüll und Massengräber.

 

Die Gnade reicht.

 

Reicht zum Loslassen und mich fallen lassen.

 

Fallen und spüren.

 

Fallen in Worte und Zeichen.

 

Loslassen und neu spüren.

 

Segen und aufgelegte Hände.

 

Sowas wie Versöhnung.

 

 

 

Manche Tage bin ich nur mit loslassen beschäftigt.

 

Mein Los hab ich nicht gewählt.

 

Aber mein Lassen wähle ich

 

Träume loslassen

 

Trauer freilassen

 

Mich unter seinen Segen stellen

 

Tränen zulassen

 

Darauf setzen, dass es reicht.

 

 

 

Kumm rin. Vetell mi wat.

Predigt in der Nazarethkirche Hannover, am Sonntag Rogate.

 

Gnade sei mit euch und Friede, von dem der da war, der da ist und der da kommt.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Lukas im 11. Kapitel.

 

Und Jesus sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann.  --- Und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. --- Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.

 

Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? Oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

 

 

1.   Gastfreundschaft

 

„Kumm rin.“

 

Zwei Worte nur.

 

Nie „Wer is denn dor?“ oder gar „Wat wost du?“.

 

Kein „Teuf mol ebn“ oder „Kumm morn trüch“.

 

Immer bloß: „Kumm rin“.

 

 

Ein kurzes Klopfen und die alte, vom Kachelofen leicht angesengte Holztür schwingt auf. Kein Warten auf Antwort, Vertrauen darauf, willkommen zu sein – immer. Offene Türen und offene Ohren. Auch wenn es eigentlich nicht passt:

 

 

„Kumm rin“. Und gleich darauf – „ Vetell mi wat“. – Komm rein. Setz dich, erzähl mir was. Und natürlich zu jeder Tageszeit: „Wosst du wat eten?“

 

 

Klopfet an, so wird euch aufgetan.

 

Im Himmelreich. Und auf dem Dorf. In manchem Mehrparteienhaus und im Studentenwohnheimen sowieso. Tags und nachts. Ja, nachts und wenn es wirklich drauf ankommt.

 

 

Wen wecke ich nach Mitternacht?

 

 

 

(Erzählt)

 

Zwei Uhr nachts. Erst drei Stunden geschlafen, aber jetzt hell wach. Die Gedanken kreisen. Neue Fragen, alte Ängste. Es nicht zu schaffen: kleine Kinder oder kranke Eltern, Prüfungen, befristete Jobs, fehlendes Geld. Und immer dahinter: Nichts anbieten zu können, nicht zu genügen, aufzufliegen.

 

 

Im Studentenwohnheim war das unproblematisch: Aufstehen, Anziehen, Ablenkung suchen. Irgendwo ist immer noch Musik, wird gequatscht und gefeiert. Mein Anklopfen ist unnötig, ich bin Teil einer Gemeinschaft. Willkommen, auch nachts um zwei.

 

 

Heute ist es komplizierter und einfacher zugleich. Ich könnte den Liebsten wecken. Bitten, dass er zuhört, mich einfach in den Arm nimmt. Oder online gucken, ob noch jemand wach ist – andere Nachteulen oder Freunde auf anderen Kontinenten. Die beste Freundin anrufen, zu jeder Zeit. Müde wäre sie, aber da.

*hmhm, erzähl mal.

 

 

Klopfet an, so wird euch aufgetan.

 

Es ist ein bißchen wie in Jesu Erzählung: Wenn du sie schon nicht einlässt, weil du dich über sie freust oder gern dein Essen mit ihnen teilst, dann doch wenigstens, weil sie geklopft haben.

 

 

Und ja, manchmal mit Hintergedanken UND gleichzeitig mit Freude.

Meine Gesellschaft, meine Nachbarschaft und Freundschaft wird gesucht. Ich werde gesehen, vielleicht sogar gebraucht. Mache die Nachttischlampe an und höre zu. Oder setze Kaffee auf und gucke im Vorratsschrank, ob ich was anbieten kann. Und irgendwas findet sich.

 

 

Klopfet an, so wird euch aufgetan.

 

Wie bei dem Nachbarn in Jesu Erzählung, der mitten in der Nacht trotz schlafender Kinder im gleichen Raum und bereits verriegelter Tür bestimmt geöffnet hat.

 

 

Gute Nachbarschaft, Freundschaft.

 

Eine oder einer ist da, wenn du ihn brauchst. Ob um zwei Uhr nachts per Telefon oder nach neun an der Tür. Einer ist da und öffnet.

 

 

Zutaten werden ausgeborgt, Essen vorbeigebracht, für das Nötigste gesorgt – erbeten und ungefragt. Manchmal zum Preis, sich selbst etwas zuzumuten. Und sich zuzumuten. Die eigene Fremdheit hinten anzustellen, sich einzulassen. Gott und den anderen einzulassen. Am hellen Tag und mitten in der Nacht.

 

Gemeinschaft und Gastfreundschaft werden unser täglich Brot. Ein Vorgeschmack auf’s Himmelsreich. Wer da suchet, der findet. Wer anklopft, dem wird aufgetan.

 

 

 

2.    „Kumm rin“ – „vetell mi wat“.

 

„Kumm rin“ – „vetell mi wat“.

Erzähl mir, wie man das schafft, das Suchen und das Anklopfen. Das Beten und Bitten, das laute und leise, mutige und feige. Welche Worte sind erlaubt. Welche richtig?

 

Jesus hat uns Worte geschenkt, mit denen wir beten können. Worte, die alles schon umfassen. Alle Bitten vereinen, zusammenbringen auf das Wichtigste. „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name….“

 

 

Wolkenworte die wie eine ((Klammer)) alles umspannen. Eine Umarmung im unruhigen Tag. Worte, die mich einen Schritt näher ran bringen an Gott, wenn ich sie borge. Sie nachspreche.

 

Ich muss mich nicht verstecken. Darf Suchen. Stammeln. Reflektieren. Mich öffnen. Fragen. Grenzen überschreiten. Gedanken der Nacht mitbringen.

 

 

Kann Bitten und sagen, was ich brauche. Bekomme Segenswünsche, fliegende Herzen und „Kyrie“ als Antwort.

 

Werde von Menschen gehört. Von Gott sowieso. Merke, ich bin nicht allein. Das Gebet der Anderen trägt mit. Ihr Mitfiebern und an mich Denken, ihr Essen vorbeibringen und das Wissen, ich könnte jederzeit klopfen.

 

 

Ja, ich kann Anklopfen. Der Herrlichkeit vertrauen. Der Gastfreundschaft und dem Gebet. „Kumm rin“. „Vetell mi wat“.

 

 

3.    Haltung – Vertrautheit & Vertrauensvorschuss

 

Ob ich als seltener Gast komme, als beste Freundin oder Tochter. Eine ist da – ob stellvertretend oder ganz real, genau richtig.

 

 

Wenn das nur so einfach wäre! Auch Jesu Jünger mussten das Einlassen und das Beten erst lernen. Klar, viele von ihnen konnten die jüdischen Gebete, waren in Traditionen zu Hause. Aber wie sollten sie nun mit dem Gott, den Jesus ihnen nahegebracht hatte reden? 

 

 

Sie suchten nach Worten. Wollten neue Worte, neue Gebete lernen, üben, zu vertrauen.

 

Und Jesus lehrt sie.

Worte.

 

„Wenn ihr betet, so sprecht:“

 

Vater!
Dein Name werde geheiligt.
Dein Reich komme.
Unser tägliches Brot gib uns Tag für Tag und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben allen, die an uns schuldig werden. Und führe uns nicht in Versuchung.

 

 

Worte lernen ist einfach. Sie gen Himmel schicken, mit Leben füllen und darauf vertrauen, dass sie gehört werden, schwerer.

 

Auch heute.

 

Vater sollen sie sagen. Gott hört zu wie der beste Freund, wie Papa oder Mama im besten Fall. Oder wie eine Wolke von Zeugen, Menschen, die mir geschenkt sind. Es ist diese Vertrautheit, die es mir möglich macht, mich zuzumuten. Vertrautheit aus jahrelangem Kontakt oder Vorschussvertrauen, weil einer sagt: „Du darfst das; ich bin da.“

 

 

Dein Reich komme. Ja, wir sehnen uns nach Zugehörigkeit und Frieden. Und hören immer wieder Nachrichten, die so gar nicht mit Gottes Reich vereinbar sind. Aus allen Ecken der Welt. Von Familien, die aufgefordert werden, ihre homosexuellen Teenager zu töten. Von Giftgas gegen Menschen, erstarkendem Faschismus und Präsidenten mit Allmachtsphantasien. Reicht beten, wenn ich eigentlich schreien will?

 

Pause

 

 

 

Jesus lehrt seine Jünger die grundlegendsten Ängste und elementarste Bitten in Worte packen:

Unser tägliches Brot gib‘ uns, Tag für Tag - Vater, sorge für uns. Und erinnert uns: Gott ist da. Alles was wir brauchen ist da. Gott, sorgt für alles Lebensnotwendige. Nicht im Voraus, aber jeden Tag neu.

 

 

Und ich brauche ihn, brauche seine Gegenwart und Hilfe, um zu vertrauen, wenn es zu einfach, ja zynisch klingt angesichts der hungernden Menschen weltweit. „Bittet und euch wird gegeben?“

 

*Pause

 

 

Wer betet, gibt weiter. Wer betet, nimmt die Welt mit im Blick. Und kann sie nicht draußen vor der Tür stehen lassen. Jesus erzählt vom Einlassen. Davon, dass wir aneinander gewiesen sind. Nachbarn auf der Suche nach Umarmungen und Unterstützung. In einem offenen Haus, einem weltweiten oikos, der als gemeinsamer Wirtschaftsraum immer auch Gasthaus und Herberge sein soll.

 

Ganz egal wie viele gerade Hilfe suchen, verzweifelt bei uns anklopfen. Ob wir Asyl bieten oder unser Essen teilen. Wir sind dran zu sagen – „Kumm rin, vetell mi wat“.

 

 

 

4.   Persönlich

 

Ja, wir sind gemeint. Können uns selbst VOR Gott was erzählen.

 

Ich versuche das. Suche die Stille, nehme eine Kerze zur Hilfe.

Borge mir Worte gegen die Gedanken der Nacht, gegen Ratlosigkeit und Grausamkeit in dieser Welt.

 

Alte Worte, um mich – und manchmal auch dich, Gott – an deine Versprechen zu erinnern. Bete. Bitte und Suche. Weiß, dass dir meine Fragen, meine Sehnsucht genügen.

 

Denn was ich auch bitte, das Fragen bleibt, das Ringen, Hoffen und Nichtwissen auch. Und ich darf sogar „unverschämt“ sein, in meinem Bitten. Alles wollen, Wunder erhoffen. Ohne Scham und ohne Scheu. Du, Gott schickst mich nicht weg. Und gleichzeitig bin ich sicher – ich muss nicht laut und unverschämt werden: leise Gedanken, gesummte Lieder, meine Klage und mein Halleluja reichen dir.

 

 

Ja, du kennst mein Suchen und nicht Wissen. Und lachst auch nicht, wenn ich mit dir verhandeln will, Sicherheit erstreiten.

 

Ob wortlose Tränen oder sprudelndes Erzählen.

 

„Kumm rin, vetell mi wat“, sagst du.

Anything goes.

 

Und ich bitte still: Herr, gedenke mein nach deiner Gnade.

 

Amen.

 

 

Meine Predigten leben vom Austausch. Mit meiner Wolke, beim Mitlesen im Predigtforum und von Menschen. DANKE an Anke und Christiane für das Mitdenken und Nachhaken in dieser Predigt <3.

 

Sünderin UND gerechtfertigt.

 

Predigt am Reformationstag in der Pauluskirche, Hannover.

Predigttext als Lesung, Römer 3 21-28.

 

  Liebe Gemeinde,

 Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, UND (sie) werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

 

Allesamt Sünder.

UND gerecht aus Gnade.

 

I) 

Da steht ein UND[1]

Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott.

Das Wort war ein UND.

 

Jesus ist ein UND. Das alles verbindende UND.

Ein Wort UND ein Licht.

Gott UND Mensch.

Gestorben für unsere Sünde UND Auferstanden von den Toten.

 

Jesus muss ein UND sein.

Der Gekreuzigte, das UND, es streckt seine Arme aus und verbindet.

 

II)

UND auch ich bin mehr als eins.

Ich lebe durch das UND.

Bin vieles gleichzeitig.

Mehr als ich denke. Mehr als ich mir zutraue.

Aufgehoben in diesem Spannungsbogen, verbunden im UND:

 

Mutter und Tochter,

Freundin und Chefin,

erschöpft und glücklich,

Geliebte und Partnerin,

getauft und voller Zweifel,

Sünderin und Gerechtfertigte.

 

Nicht Sünderin ABER gerechtfertigt, nein Paulus schreibt UND:

Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, UND sie werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

Erlöst, durch Jesus Christus, das UND.

 

Sünderin UND gerecht aus Gnade.

 

Ein „Aber“ schränkt ein, nimmt zurück.

Ein „Und“ weitet, fügt eine Facette hinzu.

  

Testen Sie es mal einen Tag: Versuchen Sie UND zu sagen, wenn Sie zu einem Aber ansetzen. Mich bringt das immer zum Lächeln. Zu merken, ja: Ich kann auch UND sagen.

 

Sünderin und gerecht vor Gott.

 

III)

Sünderin. Ja, da fallen mir Dinge ein. Weltliche Dinge und göttlich. Mein haben-wollen und können-müssen. Das nicht hinhören, das wegschauen und weitergehen.

Angst vor der Hölle habe ich nicht – eher Angst, mich ganz einzulassen: Auf Menschen, auf Gott. So verletzbar zu sein, dass mich alles angeht. Sünderin. Ich stelle die Liebe in Frage. Bist du da? Ist das dein Ernst, mit dem angenommen sein? Brauchst du mich? Wirklich? Und da ist sie, die Beziehungsstörung oder „der schuldhafte Widerstand gegen Gott“ – wie Sünde definiert wird.

Glaube ist ein Werk Gottes. Er spielt uns Menschen eine Verlässlichkeit zu, die wir nicht in uns selbst finden. Er ist größer als wir und einen Schritt voraus. Hoffend, halt. Und weil Glaube in die Zukunft zielt, ist er im jetzt wackelig. So schwer zu erklären, nicht lehrbar. Glauben erschaffen wir nicht, wir lassen ihn zu, bleiben in Kontakt, kommunizieren.[2]

 

Gottes Liebe zulassen, mich einlassen, Beziehung leben.

 

Als Beziehung gedeutet, verstehe ich, warum die Folge der Sünde der Tod ist. Ein inneres Absterben, weil bei fehlendem Vertrauen die Verbindung geschwächt wird, die Kommunikation misslingt.

Das Gespräch stockt, wie bei einem Ehepaar, dass sich nur noch wenig zu sagen hat. Er denkt vielleicht: Sie interessiert sich nicht für mich. Sie denkt: Er hört mir eh nicht zu.

 

 

IV)

Und dann steht da ein UND.

Jesus, das UND.

Jesus selbst erlebt, wie sich irdische Beziehungen anfühlen, er liebt, wird verraten. Er stirbt wie wir, ja, für uns.

Jesus, das UND, richtet’s. Und zwar nicht im Sinne des bisher gedachten göttlichen Gerichts, nein, er richtet uns aus, biegt es wieder gerade, schafft Raum zum Luftholen, definiert Nachfolge neu und lebt Gemeinschaft vor.

Für Luther war diese Erkenntnis, dass Gottes Gerechtigkeit anders ist als erwartet, die entscheidende Entdeckung. Unser Paulustext, war ihm ein Kraftwort, zum daran festhalten. Ja, in seiner Bibelübersetzung hat er sogar geschrieben, dass diese Stelle aus dem Paulusbrief an die Römer sein Lieblingswort sei.

Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, UND werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

 

Beim rumdenken und rumbeten auf diesem Satz hat er, Luther, verstanden, was es auf sich hat mit der Rechtfertigung. Und warum ihn die Sünde und die Angst vor dem Göttlichen Gericht nicht mehr schlaflos machen müssen. Luther hat verstanden und geglaubt, dass er UND schreiben kann.

 

Auf die Werke verzichten UND auf die Gnade vertrauen. Sola gratia.

Diese Erkenntnis steckt im UND, im Nebeneinander, im Mehr-als-wir-verstehen. Und aus diesem Glauben heraus schreibt Luther: Simul iustus et peccator, zugleich gerecht und Sünder. Das macht ihn mutig und wach: Gerecht UND Sünder. Zugleich. Durch Jesus, durch die Gnade und den Glauben.

  

V)

Gerechtfertigt. Ich bin Gott recht. Werde ihm gerecht, in dem was ich tue. Immer schon. Und: ich bin noch im Wachsen, im Werden, nicht fertig. 

Ich darf das – gerechtfertigt und recht-un-fertig sein.

Recht-un-fertig.

Ja, sogar genauso unfertig, hoffend und unverzagt gedacht – schließlich kommt die Vollendung später. Ich bin ein nicht fertiges UND. Schon jetzt mehr als sichtbar und begreifbar ist. Vielfältig, geheimnisvoll. Wie bei Teppichen, deren Fäden so eng aneinander gewebt sind, dass sich der eine nicht mehr vom anderen unterscheiden lässt. Das Fertige und Unfertige, nebeneinander, miteinander verwoben.

Ein UND. Unvertretbar. Unmittelbar gemeint.

 

VI)

Das tut mir gut, ja, das will ich! Alles auf einmal – das Schöne und Harte, das Sehnen und die Wolke voller Zeugen. Da hab ich Musik im Ohr, da sprüht das Leben und die Liebe gewinnt. Witz und Leichtigkeit, Schwesterlichkeit.

Und zwar direkt in dieser kaputten, seufzenden Welt, zwischen Kriegen und Wahlen, Zeitungen und twitter. In einer Welt in der alles zugleich, durcheinander und nebeneinander passiert. Willkommen, in meiner Realität.

Einer Welt, in der ich das UND brauche, um das Sterben da draußen zu ertragen und die Balance zu halten. Nur auszuhalten, wenn ich ans Atmen denke, an das Trotzdem glaube und Platz lasse für das UND. Für das UND, das größer ist als ich selbst. Richtet und geradebiegt, was ich nicht verstehe, manchmal kaum ertragen kann.

Ich spüre, dass diese Gleichzeitigkeit an mir zerrt UND mir Freiheit gibt. Und es tut mir so gut, wenn ich das Herz in die Hand nehme und die Hand aufs Herz lege und bekenne, wie es ist, dieses Leben:

Dass es krass schön ist.

Und viel.

Dass es manchmal nur Schritt für Schritt geht. UND ich dann vor lauter Funktionieren nicht hochgucken mag, einen Fuß vor den anderen setze und keine Horizonte sehe.

Dass die Vereinbarkeit müde und die Nachrichten Angst machen, so sehr, dass ich vergesse zu spielen, zu beten und alles zu sein.

 

VII)

Und dafür haben wir das UND.

Das Wort, das von außen kommt. Das wir uns nicht selbst sagen können.

 

Gott reduziert uns nicht auf das, was wir tue, schaffen. Vielleicht ist es ihm sogar egal. Wir können ankommen und sind genau richtig. Gerecht aus Gnade.

 

Machen Sie mal bitte die Augen zu und setzen sich möglichst gerade hin.

Und jetzt, atmen Sie tief ein, bis in den Bauch. Und langsam wieder aus.

 

So ist Gnade: Ein tiefes Durchatmen. Ein Bauch-Wissen, ich werde geliebt, bin angesehen. Immer schon. Alles und Nichts. Nicht verdient, nicht erarbeitet. Mensch – gerecht und unfertig, no matter what.

Gnade. Das Gegenüber meines Streben und Funktionieren: ein Durchatmen. Von dieser Welt, ja in die Welt gestellt, hier gebraucht – UND gewollt. Genauso wie ich bin.

 

Wahrlich, eine Beta-Version. Sünderin und Gerechtfertigt.

Recht-un-fertig. Aber, nein: UND auf dem Weg.

 

Denn: Sein Wort gilt.

Als Wort zum Festhalten, Nachbeten und Mitnehmen.

Zum drauf Herumkauen, Diskutieren und Neuübersetzen. 

Das Wort, mein UND, das tröstet und befreit.

Amen

 

Wiederum Danke an die mit denen ich in der Woche vor dem Gottesdienst Wörter geteilt hab und die mich ermutigt haben, das "Reden über" und den Reformationsjubiläumsteil zu streiche. Anke, Karoline, Birgit, Kirstin. You are the very best.


[1] Nach einer Idee von Friederike Lambrich.

[2] Vgl. Predigt am 30.10.2016 von Friederike Erichsen-Wendt, „Ich glaube“. www.zwischengerufen.wordpress.com

 

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Stückwerke aus Braunschweig

Predigtfragment für den "Leere Wiege e.V. " Gottesdienst am 23.Oktober 2016.

 

Zimmer II. Trauer

 

Ich komme in ein neues Zimmer. Kalt ist es hier einsam, irgendwie.

 

So viele Gefühle, ein Ozean voller Gefühle. Wellen der Wut überrollen mich, ich will schreien. Und ersticke an Plänen und Wünschen, die sich nie mehr erfüllen werden. Tränen strömen, ein Meer voller Tränen. Leise Tränen, bittere Tränen.

 

Und dann wieder Ebbe. Gefühlsebbe, Tränen, die versiegen.

Wut, die in Leere umschlägt.

 

In diesem Zimmer begegnen mir Menschen. Manche nehme ich wahr. Manche halten mich - für einen Moment bin ich geborgen. In gemeinsamer Trauer oder einfach in der Umarmung. Einige geben Nähe und andere halten Abstand. Tun das wenige, das getan werden kann. Bleiben da, so gut sie können; soweit ich es zulasse.

 

Und jetzt? Was ist mit den Tränen?

Ich will ein Nebeneinander, ein Durcheinander.

Das Lachen dazwischen.

Die Momente, in denen es leicht ist.

Und nein, ich meine kein Vergessen - ich will ein echtes Nebeneinander.

Den Trost und den Trotz, die Träume und das Raunen,

die fiese Wirklichkeit, das Schöne und die Verheißung.

 

Nein, deine Gedanken sind nicht meine Gedanken.

Aber meine Tränen machst du, Gott zu deinen.

Nimmst sie auf. Jetzt schon.

 

Sammle meine Tränen in einem Krug;

zähle sie, jede einzelne, bittet David.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Zähle sie.

So wie die Körner im Sand von dir gezählt sind und die Sterne in der Nacht. Die Kinder, lebende und tote, eingeschrieben sind in deine Handflächen. So sammle meine Tränen, Gott.

Dass die Tränen aufgefangen werden. Und ich auch.

 

Und zwar jetzt. Nicht später.

David kann nicht warten bis in Ewigkeit.

Und wir auch nicht.

Ach Gott: Sammle unsere Tränen: Die Freudentränen über die Schwangerschaft. Die Tränen der Erleichterung, bei jedem Herzschlag auf dem Ultraschall. Die ungeweinten, sprachlosen Tränen, wenn plötzlich der Boden unter den Füßen schwankt.

Die Tränen der Wut, und der Machtlosigkeit.

Und auch die, noch geweint werden müssen oder nie geweint werden können, die traurigen und die stolzen – weil es für dieses Kind keine Einschulung, keine Familienmomente geben wird.

Hier mischen sie sich alle:

Ein Krug voller Tränen, gut aufgehoben bei dir.

 

Nichts geht verloren.

Nichts bleibt ungesehen.

Meine Tränen machst du, Gott zu deinen.

Jetzt schon.

 

Ein Daumen, der leicht über die Wange fährt und die letzten, schon fast versiegten Tränen aufnimmt. Wie eine kleine „jetzt ist schon etwas besser Geste“. Oder ein großes, kariertes Baumwolltaschentuch.

Extra für mich, mit FM eingestickt, versteht sich. Du ziehst es aus der Hosentasche, wie mein Opa: "Kumm mol her, min Deern", sagst du und ziehst mich auf den Schoß. Kumm mol her.

 

 

Mit großem Dank an Birgit, Alexander, Martina und Kristin.

Und inspiriert durch eine Predigt von Annette Kurschus.

 

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