Kumm rin. Vetell mi wat.

Predigt in der Nazarethkirche Hannover, am Sonntag Rogate.

 

Gnade sei mit euch und Friede, von dem der da war, der da ist und der da kommt.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Lukas im 11. Kapitel.

 

Und Jesus sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann.  --- Und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. --- Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.

 

Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? Oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

 

 

1.   Gastfreundschaft

 

„Kumm rin.“

 

Zwei Worte nur.

 

Nie „Wer is denn dor?“ oder gar „Wat wost du?“.

 

Kein „Teuf mol ebn“ oder „Kumm morn trüch“.

 

Immer bloß: „Kumm rin“.

 

 

Ein kurzes Klopfen und die alte, vom Kachelofen leicht angesengte Holztür schwingt auf. Kein Warten auf Antwort, Vertrauen darauf, willkommen zu sein – immer. Offene Türen und offene Ohren. Auch wenn es eigentlich nicht passt:

 

 

„Kumm rin“. Und gleich darauf – „ Vetell mi wat“. – Komm rein. Setz dich, erzähl mir was. Und natürlich zu jeder Tageszeit: „Wosst du wat eten?“

 

 

Klopfet an, so wird euch aufgetan.

 

Im Himmelreich. Und auf dem Dorf. In manchem Mehrparteienhaus und im Studentenwohnheimen sowieso. Tags und nachts. Ja, nachts und wenn es wirklich drauf ankommt.

 

 

Wen wecke ich nach Mitternacht?

 

 

 

(Erzählt)

 

Zwei Uhr nachts. Erst drei Stunden geschlafen, aber jetzt hell wach. Die Gedanken kreisen. Neue Fragen, alte Ängste. Es nicht zu schaffen: kleine Kinder oder kranke Eltern, Prüfungen, befristete Jobs, fehlendes Geld. Und immer dahinter: Nichts anbieten zu können, nicht zu genügen, aufzufliegen.

 

 

Im Studentenwohnheim war das unproblematisch: Aufstehen, Anziehen, Ablenkung suchen. Irgendwo ist immer noch Musik, wird gequatscht und gefeiert. Mein Anklopfen ist unnötig, ich bin Teil einer Gemeinschaft. Willkommen, auch nachts um zwei.

 

 

Heute ist es komplizierter und einfacher zugleich. Ich könnte den Liebsten wecken. Bitten, dass er zuhört, mich einfach in den Arm nimmt. Oder online gucken, ob noch jemand wach ist – andere Nachteulen oder Freunde auf anderen Kontinenten. Die beste Freundin anrufen, zu jeder Zeit. Müde wäre sie, aber da.

*hmhm, erzähl mal.

 

 

Klopfet an, so wird euch aufgetan.

 

Es ist ein bißchen wie in Jesu Erzählung: Wenn du sie schon nicht einlässt, weil du dich über sie freust oder gern dein Essen mit ihnen teilst, dann doch wenigstens, weil sie geklopft haben.

 

 

Und ja, manchmal mit Hintergedanken UND gleichzeitig mit Freude.

Meine Gesellschaft, meine Nachbarschaft und Freundschaft wird gesucht. Ich werde gesehen, vielleicht sogar gebraucht. Mache die Nachttischlampe an und höre zu. Oder setze Kaffee auf und gucke im Vorratsschrank, ob ich was anbieten kann. Und irgendwas findet sich.

 

 

Klopfet an, so wird euch aufgetan.

 

Wie bei dem Nachbarn in Jesu Erzählung, der mitten in der Nacht trotz schlafender Kinder im gleichen Raum und bereits verriegelter Tür bestimmt geöffnet hat.

 

 

Gute Nachbarschaft, Freundschaft.

 

Eine oder einer ist da, wenn du ihn brauchst. Ob um zwei Uhr nachts per Telefon oder nach neun an der Tür. Einer ist da und öffnet.

 

 

Zutaten werden ausgeborgt, Essen vorbeigebracht, für das Nötigste gesorgt – erbeten und ungefragt. Manchmal zum Preis, sich selbst etwas zuzumuten. Und sich zuzumuten. Die eigene Fremdheit hinten anzustellen, sich einzulassen. Gott und den anderen einzulassen. Am hellen Tag und mitten in der Nacht.

 

Gemeinschaft und Gastfreundschaft werden unser täglich Brot. Ein Vorgeschmack auf’s Himmelsreich. Wer da suchet, der findet. Wer anklopft, dem wird aufgetan.

 

 

 

2.    „Kumm rin“ – „vetell mi wat“.

 

„Kumm rin“ – „vetell mi wat“.

Erzähl mir, wie man das schafft, das Suchen und das Anklopfen. Das Beten und Bitten, das laute und leise, mutige und feige. Welche Worte sind erlaubt. Welche richtig?

 

Jesus hat uns Worte geschenkt, mit denen wir beten können. Worte, die alles schon umfassen. Alle Bitten vereinen, zusammenbringen auf das Wichtigste. „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name….“

 

 

Wolkenworte die wie eine ((Klammer)) alles umspannen. Eine Umarmung im unruhigen Tag. Worte, die mich einen Schritt näher ran bringen an Gott, wenn ich sie borge. Sie nachspreche.

 

Ich muss mich nicht verstecken. Darf Suchen. Stammeln. Reflektieren. Mich öffnen. Fragen. Grenzen überschreiten. Gedanken der Nacht mitbringen.

 

 

Kann Bitten und sagen, was ich brauche. Bekomme Segenswünsche, fliegende Herzen und „Kyrie“ als Antwort.

 

Werde von Menschen gehört. Von Gott sowieso. Merke, ich bin nicht allein. Das Gebet der Anderen trägt mit. Ihr Mitfiebern und an mich Denken, ihr Essen vorbeibringen und das Wissen, ich könnte jederzeit klopfen.

 

 

Ja, ich kann Anklopfen. Der Herrlichkeit vertrauen. Der Gastfreundschaft und dem Gebet. „Kumm rin“. „Vetell mi wat“.

 

 

3.    Haltung – Vertrautheit & Vertrauensvorschuss

 

Ob ich als seltener Gast komme, als beste Freundin oder Tochter. Eine ist da – ob stellvertretend oder ganz real, genau richtig.

 

 

Wenn das nur so einfach wäre! Auch Jesu Jünger mussten das Einlassen und das Beten erst lernen. Klar, viele von ihnen konnten die jüdischen Gebete, waren in Traditionen zu Hause. Aber wie sollten sie nun mit dem Gott, den Jesus ihnen nahegebracht hatte reden? 

 

 

Sie suchten nach Worten. Wollten neue Worte, neue Gebete lernen, üben, zu vertrauen.

 

Und Jesus lehrt sie.

Worte.

 

„Wenn ihr betet, so sprecht:“

 

Vater!
Dein Name werde geheiligt.
Dein Reich komme.
Unser tägliches Brot gib uns Tag für Tag und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben allen, die an uns schuldig werden. Und führe uns nicht in Versuchung.

 

 

Worte lernen ist einfach. Sie gen Himmel schicken, mit Leben füllen und darauf vertrauen, dass sie gehört werden, schwerer.

 

Auch heute.

 

Vater sollen sie sagen. Gott hört zu wie der beste Freund, wie Papa oder Mama im besten Fall. Oder wie eine Wolke von Zeugen, Menschen, die mir geschenkt sind. Es ist diese Vertrautheit, die es mir möglich macht, mich zuzumuten. Vertrautheit aus jahrelangem Kontakt oder Vorschussvertrauen, weil einer sagt: „Du darfst das; ich bin da.“

 

 

Dein Reich komme. Ja, wir sehnen uns nach Zugehörigkeit und Frieden. Und hören immer wieder Nachrichten, die so gar nicht mit Gottes Reich vereinbar sind. Aus allen Ecken der Welt. Von Familien, die aufgefordert werden, ihre homosexuellen Teenager zu töten. Von Giftgas gegen Menschen, erstarkendem Faschismus und Präsidenten mit Allmachtsphantasien. Reicht beten, wenn ich eigentlich schreien will?

 

Pause

 

 

 

Jesus lehrt seine Jünger die grundlegendsten Ängste und elementarste Bitten in Worte packen:

Unser tägliches Brot gib‘ uns, Tag für Tag - Vater, sorge für uns. Und erinnert uns: Gott ist da. Alles was wir brauchen ist da. Gott, sorgt für alles Lebensnotwendige. Nicht im Voraus, aber jeden Tag neu.

 

 

Und ich brauche ihn, brauche seine Gegenwart und Hilfe, um zu vertrauen, wenn es zu einfach, ja zynisch klingt angesichts der hungernden Menschen weltweit. „Bittet und euch wird gegeben?“

 

*Pause

 

 

Wer betet, gibt weiter. Wer betet, nimmt die Welt mit im Blick. Und kann sie nicht draußen vor der Tür stehen lassen. Jesus erzählt vom Einlassen. Davon, dass wir aneinander gewiesen sind. Nachbarn auf der Suche nach Umarmungen und Unterstützung. In einem offenen Haus, einem weltweiten oikos, der als gemeinsamer Wirtschaftsraum immer auch Gasthaus und Herberge sein soll.

 

Ganz egal wie viele gerade Hilfe suchen, verzweifelt bei uns anklopfen. Ob wir Asyl bieten oder unser Essen teilen. Wir sind dran zu sagen – „Kumm rin, vetell mi wat“.

 

 

 

4.   Persönlich

 

Ja, wir sind gemeint. Können uns selbst VOR Gott was erzählen.

 

Ich versuche das. Suche die Stille, nehme eine Kerze zur Hilfe.

Borge mir Worte gegen die Gedanken der Nacht, gegen Ratlosigkeit und Grausamkeit in dieser Welt.

 

Alte Worte, um mich – und manchmal auch dich, Gott – an deine Versprechen zu erinnern. Bete. Bitte und Suche. Weiß, dass dir meine Fragen, meine Sehnsucht genügen.

 

Denn was ich auch bitte, das Fragen bleibt, das Ringen, Hoffen und Nichtwissen auch. Und ich darf sogar „unverschämt“ sein, in meinem Bitten. Alles wollen, Wunder erhoffen. Ohne Scham und ohne Scheu. Du, Gott schickst mich nicht weg. Und gleichzeitig bin ich sicher – ich muss nicht laut und unverschämt werden: leise Gedanken, gesummte Lieder, meine Klage und mein Halleluja reichen dir.

 

 

Ja, du kennst mein Suchen und nicht Wissen. Und lachst auch nicht, wenn ich mit dir verhandeln will, Sicherheit erstreiten.

 

Ob wortlose Tränen oder sprudelndes Erzählen.

 

„Kumm rin, vetell mi wat“, sagst du.

Anything goes.

 

Und ich bitte still: Herr, gedenke mein nach deiner Gnade.

 

Amen.

 

 

Meine Predigten leben vom Austausch. Mit meiner Wolke, beim Mitlesen im Predigtforum und von Menschen. DANKE an Anke und Christiane für das Mitdenken und Nachhaken in dieser Predigt <3.